Goethe hatte Recht!
Kultur- und Heimatverein Sulz war in Leipzig

Bekanntlich ist der Kultur- und Heimatverein bei seinen Städtetouren auf gutes Wetter abonniert. Das war auch heuer nicht anders. Kaum waren Regen und Kälte der Osterfeiertage vorüber, stieg eine fröhliche Reisegruppe in den Zug, um unter Führung von Kai Ullmann und geleitet von Susanne Galla Leipzig kennenzulernen.

Gemütlich mit dem ICE durch die Rhön bummelnd, kamen wir fast planmäßig an – und hatten im Ersatzzug noch baden- württembergische Winzer getroffen, die den Sachsen mal zeigen wollen, wie hierzulande traubenvergärungsmäßig gearbeitet wird: Sachsen ist Weinbaugebiet, das konnte keiner ahnen.

Leipzig zeigte sich als herausgeputzte Stadt voller junger Leute gleich von seiner besten Seite: wir wohnten am Augustus- Platz, mitten zwischen Neuem Gewandhaus, dem Neubau der Paulinerkirche, der Oper und dem City- Hochhaus. Der Platz alleine taugt, um die Wechselfälle sächsischer Geschichte zu beleuchten. Ausgangs des 18. Jh. als Platz vor dem Grimmaischen Thor angelegt, wurde er bald nach dem ersten sächsischen König Friedrich August benannt. Selten ist ein politischer Laiendarsteller auf dem Königsthron von seinem Volk so geliebt worden, wie er, der der langen Leidensgeschichte sächsischer Unglückskoalitionen das Kapitel „Sachsen bleibt Napoleon treu, koste es, was es wolle“ hinzufügte. Kein Wunder also, dass der sozialdemokratische Stadtrat ab 1928 mit seinem Versuch scheiterte, den Karl- Marx- Platz durchzusetzen. Der unter den Nazis rehabilitierte Augustus wurde von der SED wieder Karl Marx geopfert und heißt heute zum dritten Mal Augustusplatz. Der SED- Marx musste im Oktober 1989 hilflos mitansehen, wie zig- Tausende Montagsdemonstranten das Regime zu Fall brachten.

DDR- Geschichte war das Thema des zweiten Tages, wobei der Schwerpunkt der Führung weniger auf den Leistungen als auf den Unterdrückungsmechanismen des „Arbeiter- und Bauernstaates“ lag. Bedrückend, vor allem für die ältere Generation, wieweit Sein und Schein auseinanderlagen, wieviel Einfluss auf das Denken der Zeitgenossen geschickte Propaganda nehmen kann. Bedrückend auch, wie Geschichtsdeutung von den Regierenden beider Seiten als Mittel der Machterhaltung instrumentalisiert wird. Dagegen hilft nur Kabarett: „Glaube, Liebe, Selbstanzeige“ hieß das Programm der Leipziger Pfeffermühle, die mit praktischen Ratschlägen nicht geizte: Spare in der Schweiz, dann hast du in der Not!

Vegetarier haben’s nicht leicht in Leipzig, wo an jeder Ecke ( nein, nicht die sächsische sondern) Thüringer Bratwurst duftet. Wir aßen aber auch in Auerbachs Keller, schon wegen Goethe. Studenten trafen wir allerdings dort keine. Im weiteren Programm gab’s Angebote von Toccata und Fuge in d- Moll bis zum Jazztanz, von Goethe bis Heiner Müller, von Tübke bis Neo Rauch – chacun à son gout.

Leipzig und die „Völkerschlacht“ von 1813: für einige der Höhepunkt der Reise. Erst erkletterten wir das Asisi- Panometer, ein gigantisches Rundumbild von Leipzig am Abend des dritten Tages des bis dato größten Gemetzels der Geschichte. Zu sehen ist in sechzigtausend Einzelszenen das Leid der Soldaten und Bürger, die Hilflosigkeit des Königs (siehe oben), aber auch Napoleon, wie er aus der Stadt flieht. Danach bestiegen wir auf klaustrophobisch engen Wendeltreppen den kolossalen Klotz des Völkerschlachtdenkmals, dessen martialische Figuren zum Frieden mahnen sollen. Nicht, dass wir diese Botschaft so verstanden hätten. Und genützt hat sie auch nicht.

Aber der Kultur- und Heimatverein wird auch im nächsten Jahr wieder eine Studienfahrt anbieten.

Klaus Schätzle